Ich bezweifle es zwar, dass ich das vor 20 Jahren gewusst hatte, aber anscheinend ist es doch einfacher, die Haimeergeschichten aufzuwerten. Ich hatte mich ja schon über die lustlose Art und Weise erregt, in der mein jüngeres Ich das Mexiko in einer Million Jahren zum pseudo-aztekischen Mexé umgeschrieben hatte. Immerhin, irgendwas hat’s doch. Ich träume momentan von HighTech-Hieroglyphen und kirbyesken Aztekenrittern – Göttern von den Sternen – auch hier liegen noch große Landschaften bereit, entdeckt zu werden. Wie auch immer. Jener „Der Schatz des Tezcatl“ den Titel gebende untote Hexer ist ja offensichtlich von Tezcatlipoca abgeleitet, „Rauchender Spiegel“, dem Obsidiangott der Nacht, des Nordens, der Erde, des Streites, der Herrschaft, der Wahrsagekunst, Versuchung, Hexerei, Schönheit, Krieg und Streit. (Niemand kann sagen, dass die blutigen Azteken es sich einfach gemacht haben mit ihrer Religion! In Europa hätte man einer so saturnischen Gottheit jedenfalls nicht ‚Schönheit’ zugeordnet.)
Der unheimliche Tezcatl residiert unter den Wellen des Haimeers. Tezcatlipoca hingegen ist nach manchen Quellen mit einer Dame namens Huixtocihuatl, der älteren Schwester des Regengottes Tlaloc, verheiratet. Einer Göttin des Salzes und des Salzwassers. (Dass sie auch die Schutzpatronin der Salzgilden und „loser“ Weiber war, scheint die Sache sogar noch… pikanter zu machen.) Mixen wir dazu noch die Geschichten der griechischen Meeresgötter, von Triton und seinen Geschwistern, und es ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten.
Als Schwester des Regengottes steht Huixtocihuatl nicht unbedingt ausschließlich für die See, sondern scheint mehr mit Flüssigkeiten allgemein zusammenzuhängen – dem Salz der Tränen, vielleicht auch der amniotischen Urflüssigkeit. Sie trug goldene Glöckchen und Schellen an den Knöcheln. Und ihr Schild war bemalt mit mit Wasserlilienblättern und Blumen, geschmückt mit Anhängern aus gelben Papageienfedern, Adlerfedern und den schimmernden Federn des Quetzal. Der Schildrand war besetzt mit gelben Papageienfedern. Wenn sie tanzte, schwang sie den Schild um sich in einem Kreis – offensichtlich ein Sonnensymbol oder vergleichbares.
Der Monat der Sommersonnenwende, vom 13. Juni bis 2. Juli, war ihr gewidmet, der Herrin des Salzes, und Xochipilli, dem Herren der Pflanzen und des Tanzes. Es waren die Feiertage zu Ehren des wiederkehrenden Wassers und des Wachstums des Getreides, auch bekannt als Tecuilhuitontli (Das Kleine Fest der Fürsten), benannt weil es die Aufgabe der Fürsten war, die Feierlichkeiten auszurichten und sich sehen zu lassen. Ein Sonnenwendfest, und wie bei allen Veranstaltungen dieser Art, eine glorreiche Mixtur aus Schönheit und Schrecken. (Wie alle Feiertage der Azteken gefiel sich auch das Kleine Fest der Fürsten in Blumen und Blut.)
Während dieses Monats wurde die Stadt mit Wasserpflanzen geschmückt, und eine besonders auserwählte Frau wurde Huixtocihuatl geopfert. Die Salzmacher tanzten zu Ehren ihrer Schutzpatronin zehn Tage lang in Paaren, die Partner durch ein Seil verbunden, das jeder an einem Ende festhielt, während sie für ihre Herrin sangen. Auch dem Patron der Blumen und des Tanzes wurde gedacht. Dies war das Kleine Fest der Fürsten, die mit Blumen geschmückt mit dem gewöhnlichen Volk auf den Strassen tanzten und Geschenke verteilten. Und blutige Opfer wurden den Korngeistern dargebracht, und die Menschen tranken Agavenbier und –schnaps in Unmengen. Nicht unähnlich dem Kölner Karneval, nach allem was man hört.