Vor vielen Jahren las ich meinen ersten Roman von Philip José Farmer. Ich kann nicht einmal sagen, welcher es war – vermutlich die „World of Tiers“-Serie. Und obwohl mich dieses großartige Abenteuer sehr wohl begeisterte, war es tatsächlich ein Interview mit diesem Autoren, das mein Interesse für ihn und sein Werk erst richtig weckte. In diesem Interview sprach er von seiner Liebe zu den Büchern, die ihn in seiner Jugend geformt hatten, und wie er ihnen in seinen Werken Respekt erwies, den klassischen und den trivialen.
Man konnte sogar sagen, daß er seine Jugendhelden in seinen Büchern zu neuem Leben erweckte, und denen, die ihn beeinflussten - seinen literarischen Ahnen und vorbildern - Homage erwies. Farmer hat nicht nur einen echten Tarzan-Roman geschrieben, sondern auch mehrere Pastiches und Kopien, in denen verschiedene Aspekte des Mythos vom Dschungelgott teils ironisch, teils realistisch bearbeitet wurden – er hat eine Fortsetzung des „Zauberers von Oz“ geschrieben, und eine von „Moby Dick“, die in der fernsten Zukunft spielt. („Ishmaels fliegende Wale“) Er hat aber auch zwei auf den ersten Blick unheimlich realistisch wirkende Biographien seiner größten Kindheitshelden geschaffen – die von John Clayton, Earl of Geystoke und die von Clark Savage, Jr., bei denen nur unser unterbewußter Zensor uns immer wieder daran erinnern muß, daß Tarzan und Doc Savage doch nur Gestalten der Unterhaltungsliteratur sind, und keine realen Personen.
Man kann dies als fragwürdige Nostalgie betrachten, diesen Hang zur Juvenalia – als Verweigerung dem Erwachsenendasein gegenüber. Es gibt jedoch auch eine metatextuelle Relevanz jenseits von Psychologie und Stilkriterien. Solche Figuren sind nicht nur für einen Jugendlichen sehr wohl wirklich, denn sie wirken auch im Erwachsenenleben weiter. Sie sind Teil der eigenen Geschichte. Und in einem weiteren, literarischen Rahmen sind sie Geschichte, denn an ihnen müssen sich alle nachfolgenden Abenteuer messen.
PJF hat diese Geschichte fiktiver Figuren zu einer Geschichte einer fiktiven, doch vertrauten Welt kombiniert, die spätere Forscher in Ermangelung eines besseren Ausdruckes das „Wold Newton Universum“ genannt haben, zu Ehren des Meteors, der bei dieser kleinen Stadt in Mittelengland einschlug und durch seine Strahlung die Familien der Holmes, der Greystokes und der Blakeneys nebst anderen zu den herausragenden Gestalten veränderte, die sie waren. Ich jedenfalls habe Farmers Konstruktion einer Realität, in der die großen Figuren der Abenteuerliteratur Seite an Seite existieren – von Sherlock Holmes bis zum Shadow der „blutigen Pulps“ – sehr genossen.
Die Freude am Vertrauten ist hier nur die erste und vordergründigste, tiefer geht das, was den Fan und bereits Vertrauten anspricht: Nicht nur die Wiederbegegnung mit den unsterblichsten Charakteren dieser Art Literatur, sondern auch ihre Verwandtschaftsverhältnisse und auch die Geheimnisse hinter mancher bekannten Geschichten. Also eigentlich all das, was die eigentümlich wahnwitzige und doch faszinierende Natur von Fandiskussionen, Fanfiktionen und Fansein ausmacht. Aggressive Nostalgie und progressiver Eskapismus.
Es ist fast so etwas wie eine Art Hobbyarchäologie – auf der Seite des Autoren das Wühlen in Kindheitserinnerungen, auf der Seite des Lesers das Ausgraben der versteckten Anspielungen, Scherze und Ostereier. Je komplexer, desto besser – große Kunstwerke, mit Juwelen verkrustet, wahrscheinlich für die russischen Zaren bestimmt. Die große Leichtigkeit, mit der man solche Bezüge auch in Nebensätzen einflechten kann, steht in keinerlei Verhältnis mit der Komplexität des Kontextes und der Kontinuität, die sie erschaffen. Ist es eine neue Geschichte, die man mit dieser Form der Homage erschafft, oder nur eine Brücke zwischen anderen? Tatsächlich ist es eine neue Form der Realität, subjektiv geformt durch die Erinnerung und Freude des Autoren, die entsteht.
Nehmen Sie es mir also nicht übel, wenn auch ich im Folgenden den großen Figuren der Abenteuerliteratur – Sherlock Holmes, dem Shadow, Lord Greystoke und Philip Jose Farmer – Homage erweise und den Leser in eine Realität entführe, die offensichtlich fiktiv, aber doch seltsam vertraut ist. Sie werden sich wundern, wie viele Bekannte vorbeikommen werden…
[Erster Entwurf eines Vorwortes zu den gesammelten Aristide Allard-Geschichten]
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